Dienstag, 18. Januar 2011

Ein kleines Erlebnis aus dem Arbeitsalltag (von Tom)

Der Herbst hat mich wieder – kalt und grau die Tage, jede Woche am Freitag der Gedanke: „Endlich Wochenende – und: Wieder eine Woche näher dem Sommer 2011“. Was ja durchaus einigermaßen lächerlich ist, da der Winter noch gar nicht ins Land gezogen ist.
Ach ja, ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich an und für sich in einem eher traurigen Berufsumfeld arbeite – viele bedrückte Menschen um mich herum, die um einen lieben Angehörigen weinen, den das Zeitliche gesegnet hat.
Manchmal sind es junge Menschen, die gehen müssen, öfter aber ältere Menschen – für manchen der Tod sogar eine Erlösung von Leid. Ein Leben, das so den Begriff Leben nicht mehr verdient. Richtig – ich bin Bestatter! Nicht viele Menschen können mit diesem Beruf etwas anfangen – vielen macht er Angst, viele sagen: „Das könnte ich nicht!“ Einig sind sich aber alle, dass „es jemand geben muss, der das tut!“. Dann muss ich immer etwas schmunzeln – die Auseinandersetzung mit dem Tod meidet man, aber man ist froh, wenn dann doch jemand da ist, wenn es soweit ist.
Dieser Tage war ich wieder früh unterwegs – zu Herrn N. Also – genau genommen – nicht zu Herrn N. sondern zu Frau N., der Witwe von Herr N. Für Herr N. kann ich im Moment nichts mehr tun – es gäbe auch keinen Grund, um sechs Uhr früh zu Herrn N. zu fahren. In seinem Zustand spielt Zeit keine wirkliche Rolle mehr – die medizinische Kunst ausgeschöpft, der Atem ausgehaucht – zurück bleibt seine Frau, die 44 Jahre mit ihrem Mann verheiratet war. Für Frau N. kann ich noch etwas tun – ich kann mit ihr gemeinsam den Abschied von ihrem Mann vorbereiten. Ich kann sie beraten, ihr aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt und ich kann bei ihr sein. Trösten kann ich sie nicht – wer wäre ich mir anzumaßen jemanden trösten zu wollen, der gerade die Hälfte seines Lebens verloren hat.
Behutsam bette ich Herr N. auf die Bahre und biete Frau N. noch eine Zeit mit ihrem Mann alleine an, die sie gerne nützt. Ich achte darauf, dass der Rosenkranz in seinen starren Fingern nicht verrutscht und dass der Bildband über Neuseeland auf seiner Brust liegen bleibt – diese geplante Reise wird Herr N. nicht mehr antreten.
Ein toter Körper erzählt mir vieles über die Person, die mit diesem Körper gelebt hat. So auch bei Herr N. Ich erfahre, dass Herr N. bereits seit Jahren krebskrank war, aber stets guten Mutes und jede freie Minute genützt hat.  Herr N. ist braun gebrannt – ich denke bei mir „Wenigstens konnte er den Sommer 2010 noch für sich mitnehmen!“ Bei der Frage nach der Kleidung von Herrn N. druckst die Witwe etwas herum. „Eigentlich“, sagt sie, „war es sein Wunsch, ganz nackt bestattet zu werden – nur in einem sauberen Leintuch eingeschlagen!“  Ich zögere kurz und will schon die Frage stellen, ob das etwas mit einer bestimmten religiösen Überzeugung zu tun hat, doch dann fällt es mir auf – Herr N. ist nicht nur braungebrannt, sondern er ist nahtlos braun gebrannt. Ich kann sogar die klassischen Sonnenflecken an Stellen sehen, wo eben normalerweise keine Sonne hinkommt. Ich lächle Frau N. an und frage sie, ob sie als Naturisten unterwegs waren. Frau N. bestätigt und erzählt mir, dass ihr Mann sich stets nackt am wohlsten gefühlt hat und so haben sie sich auch ihren letzten Weg vorgestellt. Ich versichere Frau N., dass das kein Problem darstellt und dass sie sich darauf verlassen kann, dass ich ihrem Mann nach dem Waschen und der Hygienischen Versorgung keine Kleidung mehr anziehe, sondern ihn nur in einem Laken einschlage.
Frau N. ist sichtlich erleichtert und begleitet ihren Mann mit mir in der Trage noch bis zum Auto.  Für mich war das irgendwie eine sehr sympathische und fast tröstliche Begegnung – die Frage der Bekleidung oder eben auch Nicht-Bekleidung für meinen eigenen Tod werde ich mir wohl noch einmal überlegen müssen.

Tom
Bild: Schütz / pixelio.de

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