Das Liegen als ein Stück Lebenskultur
Die horizontale Lebensform erscheint
auch für Naturisten in einem anderen Licht
Von Christoph Müller
Wir müssen es alle im Laufe eines Tages. Die
einen schaffen es länger, die anderen liegen kürzer. Der Autor Bernd Brunner
hat sich einen Namen an der Schnittstelle von Kultur-und
Wissenschaftsgeschichte gemacht. Mit dem Buch „Die Kunst des Liegens“ ist ihm
auch ein beeindruckender Coup gelungen. Denn auf unterhaltsame Weise bindet er
die Aufmerksamkeit des Lesers an die horizontale Lebensform, wie er es nennt.
Vieles klingt alltäglich, was Brunner schreibt. Es amüsiert jedoch, dass er es
niedergeschrieben hat. Es freut den Leser, dass er das Liegen als ein Stück
Lebenskultur beschreibt.
Schauen Sie auch erstmal in das Inhaltsverzeichnis,
wenn Sie ein Buch in die Hand nehmen ? Wenn ja, dann haben Sie schnell ein
Gefühl der Verunsicherung, wo sie denn mit der Lektüre beginnen sollen. Wenn
Sie wirklich vom Anfang zum Ende lesen, dann werden Sie immer wieder erleben,
dass sich Spannungsbögen aufbauen, weil Sie ein bestimmtes Etappenziel
erreichen möchten. Wenn Sie sich von der vordergründigen Neugierde leiten
lassen, dann werden Sie erst Rosinen picken und sich nachher der scheinbaren
Normalität nähern.
„Die Grammatik der horizontalen Orientierung“
wird sicher auf ein größeres Interesse stoßen als das „richtige Liegen“. Die
Neugierde wird größer sein, wenn Sie „Chesterton und das Geheimnis des
Michelangelo“ lesen als dass Sie der Frage nachgehen, „wie Kinder liegen“.
„Feldstudien über Schlafzimmer und Liegegewohnheiten“ werden weniger schnell in
den Bann ziehen als „das Museum der Liegenden“. Bernd Brunner schafft es, dem
Liegen als solchem so sehr auf den Grund zu gehen, dass man sich nicht nur als
permanent Betroffener schließlich als Experte des Liegens versteht.
Man glaubt es auch nicht, dass in einer
kulturhistorischen und feuilletonistischen Betrachtung des Liegens sich der
Naturismus niederschlägt. Bernd Brunner erinnert in dem Kapitel „Der Sonne
verfallen“ an den Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, der das Sonnenlicht
zum „ersten Beförderungsmittel der Gesundheit und Lebhaftigkeit“ erklärt habe.
Lichtenberg habe das nackte Luftbad empfohlen. Brunner berichtet aber auch von
dem Schweizer Naturheilkundler Arnold Rikli, der in Slowenien die erste
Luftbadeanstalt betrieben habe.
Naturistisch angehaucht kommt auch das Kapitel
„Liegen in der Natur“ daher. Das Liegen in der Natur habe einen völlig anderen
Charakter als im geschlossenen Raum – wegen der fehlenden Begrenzung. „Indem
wir liegen, eignen wir uns die Landschaft an. Sie wird ein Teil von uns und wir
ein Teil von ihr“, schreibt Brunner. Wenn wir uns Gedanken über die
Zeitgemäßheit des Naturismus machen, sollte gerade ein solcher Gedanke nochmals
vertieft werden. Das abendliche sommerliche Schlafen im Freien sieht Brunner
nicht unkritisch. Doch stellt er in diesem Zusammenhang auch fest: „Man wird
mit einem frischen Windhauch belohnt, kann bei klarem Himmel vielleicht die
Sterne beobachten und könnte am Morgen von einem Vogelkonzert geweckt werden.“
Was dies für den Naturisten bedeutet, muss
sicherlich nicht wirklich erläutert werden. Wenn Bernd Brummer vom „Liegen auf
Reisen“ (was Naturisten traditionellerweise gerne tun ) erzählt, wird die
Bedeutsamkeit des Liegens im Alltag offenbar. So wie eine Urlaubsreise das
tägliche Einerlei an sich durchbricht, so könne die Suche nach einer geeigneten
Liegestatt in der Fremde zu einer existentiellen Herausforderung werden. Konkret
schreibt er: „Tatsächlich erschließt sich vielen Menschen, was sie an ihrem
eigenen vertrauten Bett wirklich haben, meist erst, wenn sie einmal außerhalb
der eigenen vier Wände liegen müssen. Dort sind sie herausgefordert, sich mit
ungewohnten, sogar verstörenden Bedingungen zu arrangieren.“
Es ist schon witzig, während der Lektüre des
Buchs „Die Kunst des Liegens“ so manches zu erfahren, über das man sich sicher
vorher wenige bis keine Gedanken gemacht hat. Dass sich wohl selbstsichere
Menschen weniger häufig im Schlaf drehen, ist eine solche Erkenntnis. Dass das
gemeinsame Schlafen zum Nachdenken über die Qualität von Beziehungen ermuntert
hat, zaubert ein Lächeln ins Gesicht. Brunner schreibt: „Lange war das
partnerschaftliche Schlafen in einem Bett eine Selbstverständlichkeit, die kaum
jemand einmal in Frage stellte … nun spricht man von Optionen, die man beim
Ringen um das richtige Maß von Distanz und Nähe ergreifen kann.“ Brunner äußert
sich aber auch zur „Stellung des Betts und das Licht im Raum“. Die Proportionen
des Raumes, die Materialien, das Licht würden beim Liegen anders empfunden als
beim Stehen. Warum bestimmte Menschen eine bestimmte Präferenz für die Position
ihres Bettes im Raum entwickeln, dürfte der Gewohnheit ebenso wie
psychologischen Aspekten geschuldet sein, die mit dem Urinstinkt zu tun hätten,
möglichst geschützt zu schlafen.
Das scheinbar Alltägliche wird in dem Buch
„Die Kunst des Liegens“ unter die Lupe genommen. Es wird vieles an Fakten und
Wahrheiten, vieles an Phantasien und Mythen um das Schlafen dokumentiert. Dies
ist der besondere Ertrag der Lektüre des Buchs „Die Kunst des Liegens“. Und am
nächsten Abend geht man mit einem ganz neuen Bewusstsein ins Bett, schließt die
Augen und sinniert noch ein wenig über das Liegen. Ganz so wie es Bernd Brunner
getan hat. Wenn man sich an den FKK Strand legt, hat man natürlich dieselben
Möglichkeiten. Wagen Sie sich dran …
Bernd
Brunner: Die Kunst des Liegens – Handbuch der horizontalen Lebensform, Galiani
Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86971-051-8, 168 Seiten, 14.90 Euro.