Montag, 26. August 2013

Horizontale Lebenskultur

Das Liegen als ein Stück Lebenskultur

Die horizontale Lebensform erscheint auch für Naturisten in einem anderen Licht

Von Christoph Müller

Wir müssen es alle im Laufe eines Tages. Die einen schaffen es länger, die anderen liegen kürzer. Der Autor Bernd Brunner hat sich einen Namen an der Schnittstelle von Kultur-und Wissenschaftsgeschichte gemacht. Mit dem Buch „Die Kunst des Liegens“ ist ihm auch ein beeindruckender Coup gelungen. Denn auf unterhaltsame Weise bindet er die Aufmerksamkeit des Lesers an die horizontale Lebensform, wie er es nennt. Vieles klingt alltäglich, was Brunner schreibt. Es amüsiert jedoch, dass er es niedergeschrieben hat. Es freut den Leser, dass er das Liegen als ein Stück Lebenskultur beschreibt.

Schauen Sie auch erstmal in das Inhaltsverzeichnis, wenn Sie ein Buch in die Hand nehmen ? Wenn ja, dann haben Sie schnell ein Gefühl der Verunsicherung, wo sie denn mit der Lektüre beginnen sollen. Wenn Sie wirklich vom Anfang zum Ende lesen, dann werden Sie immer wieder erleben, dass sich Spannungsbögen aufbauen, weil Sie ein bestimmtes Etappenziel erreichen möchten. Wenn Sie sich von der vordergründigen Neugierde leiten lassen, dann werden Sie erst Rosinen picken und sich nachher der scheinbaren Normalität nähern.

„Die Grammatik der horizontalen Orientierung“ wird sicher auf ein größeres Interesse stoßen als das „richtige Liegen“. Die Neugierde wird größer sein, wenn Sie „Chesterton und das Geheimnis des Michelangelo“ lesen als dass Sie der Frage nachgehen, „wie Kinder liegen“. „Feldstudien über Schlafzimmer und Liegegewohnheiten“ werden weniger schnell in den Bann ziehen als „das Museum der Liegenden“. Bernd Brunner schafft es, dem Liegen als solchem so sehr auf den Grund zu gehen, dass man sich nicht nur als permanent Betroffener schließlich als Experte des Liegens versteht.
Man glaubt es auch nicht, dass in einer kulturhistorischen und feuilletonistischen Betrachtung des Liegens sich der Naturismus niederschlägt. Bernd Brunner erinnert in dem Kapitel „Der Sonne verfallen“ an den Philosophen Georg Christoph Lichtenberg, der das Sonnenlicht zum „ersten Beförderungsmittel der Gesundheit und Lebhaftigkeit“ erklärt habe. Lichtenberg habe das nackte Luftbad empfohlen. Brunner berichtet aber auch von dem Schweizer Naturheilkundler Arnold Rikli, der in Slowenien die erste Luftbadeanstalt betrieben habe.

Naturistisch angehaucht kommt auch das Kapitel „Liegen in der Natur“ daher. Das Liegen in der Natur habe einen völlig anderen Charakter als im geschlossenen Raum – wegen der fehlenden Begrenzung. „Indem wir liegen, eignen wir uns die Landschaft an. Sie wird ein Teil von uns und wir ein Teil von ihr“, schreibt Brunner. Wenn wir uns Gedanken über die Zeitgemäßheit des Naturismus machen, sollte gerade ein solcher Gedanke nochmals vertieft werden. Das abendliche sommerliche Schlafen im Freien sieht Brunner nicht unkritisch. Doch stellt er in diesem Zusammenhang auch fest: „Man wird mit einem frischen Windhauch belohnt, kann bei klarem Himmel vielleicht die Sterne beobachten und könnte am Morgen von einem Vogelkonzert geweckt werden.“

Was dies für den Naturisten bedeutet, muss sicherlich nicht wirklich erläutert werden. Wenn Bernd Brummer vom „Liegen auf Reisen“ (was Naturisten traditionellerweise gerne tun ) erzählt, wird die Bedeutsamkeit des Liegens im Alltag offenbar. So wie eine Urlaubsreise das tägliche Einerlei an sich durchbricht, so könne die Suche nach einer geeigneten Liegestatt in der Fremde zu einer existentiellen Herausforderung werden. Konkret schreibt er: „Tatsächlich erschließt sich vielen Menschen, was sie an ihrem eigenen vertrauten Bett wirklich haben, meist erst, wenn sie einmal außerhalb der eigenen vier Wände liegen müssen. Dort sind sie herausgefordert, sich mit ungewohnten, sogar verstörenden Bedingungen zu arrangieren.“

Es ist schon witzig, während der Lektüre des Buchs „Die Kunst des Liegens“ so manches zu erfahren, über das man sich sicher vorher wenige bis keine Gedanken gemacht hat. Dass sich wohl selbstsichere Menschen weniger häufig im Schlaf drehen, ist eine solche Erkenntnis. Dass das gemeinsame Schlafen zum Nachdenken über die Qualität von Beziehungen ermuntert hat, zaubert ein Lächeln ins Gesicht. Brunner schreibt: „Lange war das partnerschaftliche Schlafen in einem Bett eine Selbstverständlichkeit, die kaum jemand einmal in Frage stellte … nun spricht man von Optionen, die man beim Ringen um das richtige Maß von Distanz und Nähe ergreifen kann.“ Brunner äußert sich aber auch zur „Stellung des Betts und das Licht im Raum“. Die Proportionen des Raumes, die Materialien, das Licht würden beim Liegen anders empfunden als beim Stehen. Warum bestimmte Menschen eine bestimmte Präferenz für die Position ihres Bettes im Raum entwickeln, dürfte der Gewohnheit ebenso wie psychologischen Aspekten geschuldet sein, die mit dem Urinstinkt zu tun hätten, möglichst geschützt zu schlafen.

Das scheinbar Alltägliche wird in dem Buch „Die Kunst des Liegens“ unter die Lupe genommen. Es wird vieles an Fakten und Wahrheiten, vieles an Phantasien und Mythen um das Schlafen dokumentiert. Dies ist der besondere Ertrag der Lektüre des Buchs „Die Kunst des Liegens“. Und am nächsten Abend geht man mit einem ganz neuen Bewusstsein ins Bett, schließt die Augen und sinniert noch ein wenig über das Liegen. Ganz so wie es Bernd Brunner getan hat. Wenn man sich an den FKK Strand legt, hat man natürlich dieselben Möglichkeiten. Wagen Sie sich dran …


Bernd Brunner: Die Kunst des Liegens – Handbuch der horizontalen Lebensform, Galiani Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86971-051-8, 168 Seiten, 14.90 Euro.

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